Von Inge Müller
Schon seit längerer Zeit ist die Rede vom Patienten als Kunde. Dass man jetzt so von ihm spricht, hängt wohl hauptsächlich mit den veränderten Finanzierungsgrundlagen im „Gesundheitswesen“ zusammen: das Krankenhaus hat keinen Anspruch mehr auf Deckung seiner Betriebskosten, sondern es muss mit einem fest vorgegebenem Budget klarkommen. Allerdings übersteigen sehr oft die Kosten das gegebene Budget.
Auch stehen die Einrichtungen des Gesundheitswesens inzwischen im Wettbewerb zueinander. Aufgrund dieser einschneidenden Veränderungen ist der Patient zu einem „betriebswirtschaftlichen Faktor“ geworden: Wenn er nämlich die Leistungen eines Krankenhauses in Anspruch nimmt, so trägt er zu dessen Existenzsicherung bei. Es ist daher eine genügend große Anzahl an stationären und ambulanten Patienten notwendig. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das Krankenhaus geschlossen werden muss.
Also: man wirbt um den Patienten wie um einen Kunden . Man wird deshalb in bestimmter Weise aktiv. Zum Beispiel werden durch Befragungen die Erwartungen und Wünsche der Patienten erfasst, um sie möglichst umzusetzen mit dem Ziel, dass der Patient das Krankenhaus bei der nächsten Behandlung wieder wählt.
Auf den ersten Blick nachvollziehbar, dass man aus betriebswirtschaftlichen Gründen im Patienten den Kunden sieht.
Aber ist er wirklich ein Kunde? Man könnte jetzt alles das, was einen Kunden im alltäglichen Geschäftsleben kennzeichnet, betrachten und dann überlegen, ob das auf einen kranken Menschen zutrifft. Allein bei diesem sachlichen Vergleich wird klar, dass der Patient kein Kunde (im üblichen Sinn) sein kann!
Mir geht es aber vor allem darum, die Folgen dieses Verständnisses zu bedenken und biblisch zu bewerten:
Im wesentlichen hat sich das ursprüngliche Verständnis von einem Krankenhaus radikal verändert, bzw. es wird aufgrund der oben kurz skizzierten Neuerungen durch ein anderes Verständnis abgelöst. Früher war ein Krankenhaus (auch Hospital genannt; hospes – der Gast; Hospiz – die Herberge) der Ort, der gerade deswegen gegründet wurde, um Leidenden und Kranken eine Herberge zu geben; ihnen zu helfen. Die Not der Kranken war vor allem zuerst für Christen Anlaß, Krankenhäuser zu gründen. Erst viel später wurde es dann auch eine staatliche Aufgabe. Damals nahm das Krankenhaus die Kranken aus Nächstenliebe auf und nicht um seine eigene Existenz zu sichern.
Heute wird zwar auch sehr oft vom „Patienten als Mittelpunkt“ geredet. Aber dies ist eben immer mehr ökonomisch motiviert. Und das ist ein Unterschied! Wenn der Patient primär nicht mehr um seiner Bedürftigkeit willen Beachtung findet, dann ist das eine enorme Verschiebung. Der Kundenbegriff beinhaltet zudem viele Aspekte, die auch die Praxis im Krankenhaus prägen. Ein Beispiel: Unternehmer machen Unterschiede bei ihren Kunden. So gibt es lukrative und weniger lukrative - unter ökonomischen Aspekten - versteht sich. Der Unternehmer fragt sich, welche Kunden sich „lohnen“ und welche nicht. Das neue Finanzierungssystem im Krankenhaus führt inzwischen auch zu dieser Betrachtungsweise: es gibt Patienten, die mehr umworben werden als andere. Die weniger umworbenen sind z.B. chronisch Kranke, alte und multimorbide Menschen. Diese gelten als zu teuer. Ja, aus ökonomischen Gesichtspunkten wäre es sogar besser, sie gar nicht erst im Krankenhaus zu behandeln und wenn, dann sollten sie möglichst schnell entlassen werden, damit nicht zu viele Kosten „produziert“ werden. Somit hat sich also auch das (ursprüngliche) Verständnis von einem Patienten stark verändert. Immer mehr wird er jetzt nach finanziellen Aspekten beurteilt, nämlich danach, was er dem Krankenhaus „bringt“ und was nicht. Dieses Verständnis prägt das Handeln und den Umgang mit Patienten - vielleicht auch noch unbewußt. Aber es gibt auch schon Krankenhäuser, die sich ganz bewußt auf die sogenannten „lohnenden Patienten“ spezialisieren.
Wie stellen wir uns als Christen zu solchen Entwicklungen? Wie gehen wir mit solchen Spannungsfeldern um, wenn ökonomische Aspekte so sehr dominieren und uns den Blick für die Nöte der Kranken und ihre wirkliche Situation zu verstellen drohen (abgesehen davon, dass der ökonomische Druck zu mehr Stress führt, da die Zahl der Mitarbeiter verringert wird).
Sicher können wir Gesetze nicht ändern. Aber wir müssen darauf achten, wodurch unsere Sicht von (kranken, alten) Menschen geprägt wird. Was der Mensch ist, das sagt uns Gottes Wort:
Der Mensch ist Gottes Ebenbild:
„.. und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn;“
(1.Mose 1,27).
Der Mensch ist von Gott geliebt:
„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“
(Johannes3,16).
Gott sucht den Menschen und will ihn retten für die Ewigkeit:
„ Wenn irgend ein Mensch hundert Schafe hätte und eines unter ihnen sich verirrte: läßt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen, geht hin und sucht das verirrte... also auch ist’s vor eurem Vater im Himmel nicht der Wille, dass jemand von diesen Kleinen verloren werde“
(Matthäus 18, 12 und 14)
Gott will die Menschen retten für die Ewigkeit:
„Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte,
sondern dass die Welt durch Ihn selig werde“
(Joh.3,17).
Unser Herr, Jesus Christus, hat Erbarmen mit den Menschen:
„Und da er das Volk sah, jammerte ihn desselben; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben"
(Mattthäus 9,36).
Bei Gott gibt es keine Skala, welcher Mensch besonders wertvoll ist und welcher weniger. Bei Gott gibt es keine Nutzenabwägung. So ist der Herr Jesus selber kranken Menschen begegnet: er hat sie in ihrer körperlichen und seelischen Not gesehen. Aber er hat sie auch immer in ihrer Erlösungsbedürftigkeit gesehen und sie darauf angesprochen. Zum Beispiel in der Begegnung mit dem Gichtbrüchigen:
„Und siehe, da brachten sie zu Ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bette. Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Sei getrost, mein Sohn; deine Sünden sind dir vergeben“
(Matthäus 9, 2).
Und das dürfen wir als Christen bei unserer Arbeit im Gesundheitsdienst nicht vergessen. Wir dürfen Gott darum bitten, dass wir nicht vor lauter Druck und ökonomischer Orientierung den Menschen nur als Kostenverursacher sehen. Wir sollen ihn als Geschöpf Gottes sehen, das seinen Schöpfer lebensnotwendig braucht. Es ist selbstverständlich, dass wir mit Geld und Mitteln verantwortlich umgehen, aber es darf unsere Sicht vom Menschen nicht abbringen von dem, wie Gott über den Menschen denkt und was sein Wille für ihn ist.
Mögen wir solche Leute sein, die vor ihrem Herrn still werden, mit ihm rechnen und mit seiner Hilfe den uns anvertrauten Menschen so begegnen, dass wir ein Zeugnis für den Herrn sind. Und mögen wir auch solche Leute sein, die auch in Zeiten, wo die Finanzen alles zu bestimmen scheinen, doch das in Gottes Augen Wesentliche tun und darauf vertrauen, dass ER uns in unserem Alltag zur Seite steht und uns leitet.
ER hat es verheißen:
„Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“
(Mt. 28, 20 b).
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