Euthanasie im Licht der Heiligen Schrift

Nicht der Mensch, sondern Gott ist der Herr jedes menschlichen Lebens.

Gott hat jeden Menschen geschaffen. Gott hat mit jedem Menschen einen Plan.

Wer sein Ohr nur ein wenig am Nerv der Zeit hat, weiß, dass diese Problematik heute kein wirklichkeitsfernes Thema ist.  In Westeuropa gibt es seit Ende der 70er Jahre des 20. (vergangenen) Jahrhunderts so genannte Euthanasiegesellschaften. Diese Euthanasiegesellschaften haben in den verschiedenen Ländern Westeuropas zum Teil unterschiedliche Ziele. Doch ein gemeinsames Ziel aller Euthanasiegesellschaften ist die Legalisierung des Tötens auf Verlangen.

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1. Einleitung

Ich bin darum gebeten worden, zu Ihnen zu sprechen zum Thema Euthanasie, oder wie man auch sagt: „Sterbehilfe“.

Wer sein Ohr nur ein wenig am Nerv der Zeit hat, weiß, dass diese Problematik heute kein wirklichkeitsfernes Thema ist. In Westeuropa gibt es seit Ende der 70er Jahre des 20. (vergangenen) Jahrhunderts sogenannte Euthanasiegesellschaften.
Diese Euthanasiegesellschaften haben in den verschiedenen Ländern Westeuropas zum Teil unterschiedliche Ziele. Doch ein gemeinsames Ziel aller Euthanasiegesellschaften ist die Legalisierung des Tötens auf Verlangen.

Ich möchte jetzt nicht über die gesellschaftlichen Entwicklungen in Westeuropa etwas sagen, die dort zu dieser unterschwelligen Veränderung in der Einstellung zur Euthanasie geführt haben, sondern es geht mir im folgenden darum, dass wir uns darüber besinnen wie die Euthanasie im Licht des Wortes Gottes zu beurteilen ist.

2. Euthanasie – Was versteht man darunter?

Der Ausdruck „Euthanasie“ stammt aus dem Griechischen. Er ist zusammengesetzt aus zwei Worten eû und thánatos. „eu“ meint soviel wie „gut“, „schön“, „angenehm“, „glücklich“, „thanatos“ meint Tod. Euthanasie ist also zu übersetzen mit: guter, schöner, angenehmer Tod. Häufig begegnen im Zusammenhang mit der Euthanasie Begriffe wie: „aktive Euthanasie“, „passive Euthanasie“, „direkte Euthanasie“ oder „indirekte Euthanasie“.

Was versteht man darunter?

Unter „aktiver Euthanasie“ versteht man das absichtliche lebensverkürzende Handeln (z. B. durch Medikamente). Man sucht den Todeseintritt zu beschleunigen. Dieses kann freiwillig geschehen, also der Wunsch kann vom Patienten ausgehen. Dann spricht man von „Tötung auf Verlangen“. Dieses kann auch unfreiwillig geschehen, z. B. dann, wenn jemand an das Erbe des zu Tötenden herankommen möchte oder wenn es ihm zu lästig ist, den Betreffenden (weiter) zu pflegen.

Unter „passiver Euthanasie“ versteht man gewöhnlich das absichtliche Unterlassen von lebensverlängerndem Handeln. Zum Beispiel: Der Arzt erkennt, dass der Patient sterben wird, er kann ihm nicht mehr helfen. Dann beendet er die Behandlung und lässt ihn sterben, unternimmt also nichts.

„Direkte Euthanasie“: Während die Begriffe „aktive“ und „passive“ Euthanasie den motorischen Vollzug der Handlung im Auge haben, wird bei der Verwendung von „direkter Euthanasie“ nach der Motivation gefragt. Direkte Euthanasie meint dann soviel wie: Es ist meine Absicht, den Patienten auch töten.

Im Unterschied dazu sprechen wir von „indirekter Euthanasie“ in den Fällen, in denen als unbeabsichtigte Nebenwirkung einer notwendigen Medikamentierung, meist wird es sich um Zufügung starker Schmerzmittel handeln, der Eintritt des Todes (möglicherweise) beschleunigt wird. Der Arzt verabreicht ein starkes Morphinpräparat, um die Schmerzen zu stillen. Gleichzeitig kann von diesem Morphinpräparat jedoch eine dermaßen dämpfende Wirkung auf das Atemzentrum ausgehen, dass es bei bestimmten Erkrankungen der Lunge zu einem früheren Eintritt des Todes kommen kann. Diese Möglichkeit wird zwar häufig überschätzt, denn die Verabreichung ausreichender Schmerzmittel verlängert durch ihre beruhigende und stabilisierende Wirkung das Leben eher, als dass es dieses verkürzt, gleichwohl ist die Möglichkeit einer Verkürzung des Lebens durch Verabreichung von Schmerzmitteln denkbar.

3. Zehn generelle Aspekte zur Beurteilung der Euthanasie im Licht der Heiligen Schrift

Wie haben nun Christen, die Gott und seinem Wort glauben und gehorchen wollen, über die Euthanasie zu urteilen?

Ich möchte Sie dazu zunächst auf einige biblische Aspekte hinweisen, die bei der Beurteilung der Euthanasie generell bedacht werden müssen. Erst danach gehe ich auf die konkreten Punkte ein, also wie aktive, passive und indirekte Euthanasie zu beurteilen sind.

Ich nenne zehn Punkte:

Erstens. Unzweifelhaft ist für die Beurteilung der Euthanasie auf das Gebot Du sollst nicht töten zu achten. Was der Wille Gottes zur Frage des Tötens ist, ist mit Hinweis auf das sechste Gebot deutlich (2.Mos. 20,15; 5.Mos. 5,17). Manche Ausleger der Bibel weisen darauf hin, dass bei dem Tötungsverbot, das Gott seinem Volk am Berg Sinai gab, beachtet werden muss, dass Israel zur Zeit der Sinai-Gesetzgebung ein Nomadenvolk war. Dieses Gebot hatte also gerade die Schwierigkeiten vor Augen, die alte, kranke und gebrechliche Menschen dem gesamten Stamm bei der Wanderung durch die Wüste bereiten konnten. Von daher ist es nicht unwichtig, dass unmittelbar vor dem Gebot „Du sollst nicht töten“ das Gebot steht „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.“ Es besteht ein innerer, sachlicher Zusammenhang zwischen dem Gebot der Elternehrung und dem Tötungsverbot. Anders formuliert: Die Missachtung des Gebotes, die Eltern zu ehren, zeigt ein latentes Gefälle hin zur Missachtung des Tötungsverbotes.

Als zweiten grundsätzlichen Aspekt weise ich andererseits darauf hin, dass die Bibel nicht das ethische Prinzip einer absoluten Ehrfurcht vor dem Leben kennt. Das Tötungsverbot (2.Mos. 20,13) meint nicht, dass ein Christ, der dem Wort Gottes glaubt, einem Prinzip der „absoluten Ehrfurcht vor dem Leben“ zustimmen kann: Wir haben nicht das Leben zu ehren, sondern den Herrn des Lebens. Es ist Gott, der da tötet und wieder lebendig macht, der zerschlägt und heilt (5.Mos 32,39; 1.Sam. 2,6). Leben und Tod sind keine selbstständigen Mächte, vor denen wir uns beugen müssen, sondern Leben und Tod beugen sich vor dem Gott, dem alle Mächte unterworfen sind (Röm. 8,38ff; Eph. 1,20; Kol. 1,16). Darum gibt Gott dem Menschen auch das Recht, pflanzliches (1.Mos. 1,29), tierisches (1.Mos. 9,3), und bisweilen auch menschliches Leben anzutasten (1.Mos. 9,6; Röm. 13,4) die Todesstrafe. Bisweilen hat der Mensch sogar sein eigenes Leben für Gott oder den Nächsten zu opfern (Richt. 16,28ff; Mt. 16,25; Luk. 14,26; Röm. 16,3-4; Phil. 2,30). Also: Nicht das menschliche Leben, sondern das Gebot Gottes ist die höchste Norm für die Ethik.

Als dritten Aspekt weise ich Sie auf einen Begriff hin, der zweimal im letzten Buch der Bibel vorkommt, und zwar in Offb. 21,8 und 22,15. Ich meine das Wort pharmakoi, das in der Regel mit „Zauberer“ übersetzt wird. Mit diesem Wort bezeichnete man in der Antike unter anderem Ärzte/ Mediziner, die (auch) schädliche Mittel verabreichten, wie zum Beispiel Drogen, Abortiva und eben auch Euthanatica. Diesen pharmakoi („Kurpfuschern“), wird angedroht, dass sie vom Himmlischen Jerusalem ausgeschlossen werden.

Als vierten Aspekt ist in diesem Zusammenhang festzuhalten: Nicht der Mensch, sondern Gott ist der Herr jedes menschlichen Lebens. Gott hat jeden Menschen geschaffen (1.Mos. 2,7-8; Jer. 1,5; Ps. 139,13-15). Gott hat mit jedem Menschen einen Plan. Nichts geschieht ohne Gottes Willen, auch nicht Leiden und Sterben oder Altersdemenz. Denn Gott ist der Gott der „Geister allen Fleisches“ (4.Mos. 27,16). Das heißt: Gott hat auch die Macht über den Geist des Menschen (Ps. 31,5; Hiob 27,3). Kurzum: Jeder Mensch und alles untersteht dem Schöpfer und Lenker dieses Universums (Jes. 49,1.5; Jer. 1,5; Luk. 1,15; Gal. 1,15). Daraus geht klar hervor: Das menschliche Leben ist ein Geschenk Gottes. Das heißt: Einzig und allein Gott darf dem Menschen das Leben wieder nehmen. Kein Mensch darf einem anderen Menschen das Leben nehmen, übrigens auch nicht sich selbst.

Fünftens: Der Mensch ist wertvoll in den Augen Gottes. Aus dem Umstand, dass Gott die Menschen geschaffen hat und sich um sie kümmert, ergibt sich sein Wert. Er ist im Bild Gottes geschaffen. Jedes menschliche Leben besitzt die Würde der Gottesbildlichkeit (1.Mos. 1,27-28; 5,1-2). Das heißt: Der Mensch ist wertvoll, und zwar unabhängig davon, was er aus sich macht oder welchen Nutzen er für die Gesellschaft bringt. Denn seine Würde beruht nicht auf menschlichen Fähigkeiten, Qualitäten oder Leistungen, sondern sie ist ihm von Gott beigelegt, geschenkt. Bei einem Christen kommt noch hinzu, dass sein Leib ein Tempel Gottes bzw. ein Tempel des Heiligen Geistes ist (1.Kor. 3,16-17; 6,19). „Ihr seid teuer erkauft“, schreibt der Apostel Paulus (1.Kor. 6,20). Bei Christen gilt ferner: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2.Kor. 12,9). Für unsere Fragestellung heißt das: Weil jeder Mensch im Bild Gottes geschaffen ist, und von daher einen ihm von Gott beigelegten Wert hat, darf sich niemand an dem menschlichen Leben vergreifen, sei es nun, um es zu verkürzen oder zu beenden (1.Mos. 9,6).

Sechstens: Leiden und Sterben sind eine Folge des Sündenfalls. Menschen, die nach Leib und/ oder Geist missgebildet sind, wenn man so will „unnormal“ sind, zeigen, dass die Schöpfung dem Gericht und der Nichtigkeit unterworfen ist (Röm. 8,20-25).
Insofern ist es nicht falsch zu sagen, dass Krankenhäuser, Altenheime und Nervenheilanstalten von dem Zorn Gottes über alle Menschen zeugen: „Das Macht dein Zorn, dass wir so vergehen“ (Ps. 90,7). Das heißt: Weil wir als Menschheit insgesamt, das heißt von Adam her, gefallen sind, dürfen wir uns auch nicht vor den Folgen des Falles drücken. Vielmehr ist es unsere gemeinsame Aufgabe, Leiden zu lindern. Das heißt nicht zuletzt, dass wir besonders diejenigen unterstützen, die sich in einem schweren Leidensprozess oder in einem Sterbeprozess befinden.

Siebtens: Gott offenbart sich den Menschen im leidenden Christus. Nach dem Sündenfall hat Gott das, was „Gottebenbildlichkeit“ meint, in Christus offenbart. Er ist das Ebenbild Gottes (Kol. 1,15-20). Dieses Ebenbild Gottes trat unter den Menschen auf „ohne Gestalt und Hoheit“, „voller Schmerzen und Krankheit“ (Jes. 53,2-3). Als der Weltenrichter zeigt sich Christus eins mit dem Hilfsbedürftigen (Mt. 25,31ff). Aus dieser Perspektive ist der kritische Maßstab, an dem alle Menschenbilder zu messen sind, nicht irgendeine starke, gesunde Persönlichkeit, sondern der leidende, der gekreuzigte Christus. Leiden erniedrigt nicht den Menschen, so dass er dadurch unter das Maß des Menschenunwürdigen stürzen würde. Die Konsequenz für die Praxis lautet: Christen, nicht zuletzt diejenigen, die im vollzeitlichen Dienst an Kranken stehen, also Ärzte und Pflegekräfte, haben die Aufgabe, den leidenden, sterbenden Nächsten zu tragen. Sie tragen ihn auch dann, wenn es scheinbar unerträglich ist – in Liebe. Denn jedes Leben, auch das schwache, senile oder bewußtlose verdient Schutz und Pflege.

Achtens: Gott gebietet, sich um die Hilfsbedürftigen zu kümmern. Gerade der Leidenden/Sterbenden haben wir uns anzunehmen.(Luk. 10,25-37; Mt. 25,25-36), also auch derjenigen, die aufgrund ihrer Krankheit, ihrer Gebrechen aus der Gesellschaft ausgestoßen sind. Vergessen wir bitte nicht, dass gemäß dem, was unser Herr in der Bergpredigt sagt, nicht nur das Töten (Ermorden) untersagt ist, sondern es geht dem Herrn auch darum, das Leben des Nächsten zu schützen und zu erhalten.(vergleiche auch: 1.Joh. 3,16-17). So ist es unsere Aufgabe, den Schwachen, den Senilen und den Sterbenskranken heilend und pflegend beizustehen.

Neuntens: Das menschliche Leiden darf gelindert werden. Derselbe Gott, der nach dem Sündenfall das Leiden als einen Fluch dem Menschen auferlegt hat (z.B. 1.Mos. 3,16), schenkt auch die Mittel, um die Leiden zu erleichtern. So soll der Arzt mit Öl und Balsam das Leid lindern (Jes. 1,6; Jer. 8,21-22; 51,8). Auch Jesus heilte bekanntlich das Fieber der Schwiegermutter und andere Krankheiten (Luk. 4,39). Spr. 31,6 fordert auf: „Gebt starkes Getränk dem, der zugrunde geht und Wein denen, deren Leben bitter ist“ (die betrübter Seele sind). Die Konsequenz für uns lautet: Gerade in den letzten Tage vor dem Tod des Betreffenden soll alles getan werden, um die leiblichen und emotionalen Leiden zu lindern/ erleichtern. Dabei ist Christen deutlich, dass sie die Überwindung des Todes nicht von der modernen medizinischen Forschung und ihren Versuchen, das Leben zu verlängern, erwarten, sondern von Christus. Er ist es, der den Tod durch seine Auferstehung besiegt hat (z.B. 2.Tim. 1,7). Anders gesagt: Der Sieg über den Tod wird nicht durch den Menschen vollbracht, sondern er ist für den Menschen bereits gewirkt worden am Kreuz von Golgatha. Die Glaubenden sind erlöst, jedoch im Blick auf unseren Leib sind wir errettet auf Hoffnung (Röm. 8,24). Die Erlösung des Leides erwarten wir erst bei der Auferstehung (Röm. 8,23).

Zehntens: Der Tod: ein Feind. Gegenwärtig wird häufig der Tod gesehen als etwas, das zum Leben dazugehört. Zum Beispiel spricht man von ihm als von einem „Zwillingsbruder des Lebens“. Die Heilige Schrift aber spricht über den Tod als von einem Eindringling: Der Tod drang in die ursprüngliche gute und heile Schöpfung Gottes ein (Röm. 5,12). Wie wir den Tod verstehen, hängt entscheidend davon ab, wie wir uns in den hier besprochenen Situationen verhalten. Nach der Heiligen Schrift ist der Tod nicht etwas Natürliches. Auf der anderen Seite lehnen Christen auch die Auffassung ab, dass absolut alles, um jeden Preis getan werden müsse, um das Leben eines Menschen zu retten. Denn Christen wissen aus der Bibel, dass „im Körper“ zu sein, soviel meint wie „ausheimisch“ vom Herrn zu sein (2.Kor. 5,6). Demgegenüber sind Christen dann, wenn sie „außerhalb des Körpers“ sind, „zu Hause beim Herrn“ (2.Kor. 5,8). Insofern ist das Sterben ein Gewinn für den Christen (Phil. 1,21). Ein Christ ist nicht an diese Erde gebunden. Er ist nicht auf diese Erde fixiert, und er übt darum auch keine Operationen aus, um das Leben nur wenige Stunden oder Tage auszudehnen.

4. Konsequenzen für die Beurteilung der verschiedenen Formen der Euthanasie.

Erstens: Zur aktiven Euthanasie. Aus dem, was wir eben gerade grundsätzlich aus der Heiligen Schrift festgestellt haben, ist deutlich, dass die aktive Euthanasie verboten ist, also jede Form, in der eine Person, sei es nun ein Arzt, eine Pflegekraft oder sonst jemand, den Tod eines Patienten beschleunigt oder verursacht. Dabei ist es gleichgültig, ob die betreffende Person um die Tötung gebeten hat oder nicht. Ich weise hier noch einmal hin auf das 6. Gebot (2.Mos. 20,13; 5.Mos. 5,17) sowie auf das Urteil Gottes über die Pharmakoi (Offb. 21,8; 22,15). Es ist Gott, der dem Menschen das Leben gegeben hat, und darum darf kein Mensch, sondern allein Gott es auch wieder nehmen.

Zweitens: Die Unterscheidung zwischen Beendigen des Lebens und Beendigen der Behandlung ist im Prinzip legitim. Während Beendigung des Lebens („aktive Euthanasie“) unerlaubt ist, kann das Beenden der Behandlung geboten sein, um eine medizinische Behandlung nicht bis zum bitteren, sondern bis zum verantwortbaren Ende fortzusetzen. Einerseits darf man den Patienten nicht töten, andererseits haben wir ihn sterben zu lassen. Es ist vor Gott unverantwortlich, das Leben eines anderen zu nehmen. Aber es ist auch unverantwortlich, das Leben eines Menschen beliebig zu verlängern. Die Frage, wann der Zeitpunkt eintritt, an dem es verantwortet werden kann, eine Behandlung zu beenden, kann hier nicht für jeden Fall vom grünen Tisch aus festgelegt werden. Auch kann die Unterscheidung zwischen Beenden des Lebens und Beenden der Behandlung zeitlich sehr oft zusammenfallen. Aber dadurch wird ein Beenden der Behandlung noch nicht zur Euthanasie. An diesem Punkt ist die Einstellung des Arztes zu beachten. Diese Einstellung ist beim Beenden des Lebens eine völlig andere als beim Beenden der Behandlung.
Wenn ein Arzt vor dem Angesicht Gottes sagen kann, dass er eine Behandlung bei einem Patienten abbricht, den nicht er, sondern den Gott an das Ende seines Lebens gebracht hat, dann ist das etwas anderes als die Aussage: „Ich will das Leben dieses oder jenes Menschen beenden.“ Hier ist nach der Intention zu fragen. Darum ist der Ausdruck „passive Euthanasie“ ungeeignet. Heute wird in der Regel das Beenden der Behandlung „passive Euthanasie“ genannt. Doch halte ich diesen Ausdruck nicht für glücklich, weil man dadurch das Beenden einer Behandlung im Bereich der Euthanasie einordnet. Das aber schafft m. E. für die ethische Beurteilung nur Verwirrung.

Drittens: Die Grundpflege ist auf jeden Fall, auch nach Abbrechen der Behandlung zu leisten. Die Grundpflege besteht in allen jenen Verrichtungen der Krankenpflege, die dem Wohlbefinden des Patienten dienen. Dazu gehören Schmerzlinderung, Reinigung, also alle Maßnahmen der Körperhygiene, Bettung, das heißt, der Lagerung des Patienten, Ernährung, eventuell der Zufuhr von Flüssigkeit und Nahrung, auch bei bewusstlosen Patienten. Solange der Patient bei Bewusstsein ist, gehört darüber hinaus alles zur Grundpflege, was für sein seelisches Wohlbefinden erforderlich ist, erörtert wurden nicht zuletzt die mitmenschliche Zuwendung und das Ansprechen (Gespräche). Nach dem Abbrechen der Behandlung bleibt als vorrangiges Ziel die Schmerzlinderung und die Sorge um ein erträgliches, möglichst schmerzfreies Leben, sofern möglich in vertrauter Umgebung. Eine Verweigerung, den Grundbedürfnisse zu entsprechen, etwa mit der Begründung, dass das Leben nur noch ein lebensunwertes, bewusstloses dahinvegetieren sei, das für andere eine kaum erträgliche oder gar unerträgliche Last sei, ist im Licht des Wortes Gottes vorbehaltlos zurückzuweisen. Es wäre Ausdruck von Menschenverachtung.

Viertens. Ein Wort zur indirekten Euthanasie. Von indirekter Euthanasie sprechen wir, wenn aufgrund einer medizinischen Therapie als Nebenwirkung das Leben – unbeabsichtigt – verkürzt wird. Zum Beispiel kann eine Schmerztherapie, zum Beispiel eine Morphinschmerztherapie bei Sterbenden, unbeabsichtigt („indirekt“) dazu führen, dass der betreffende Patient früher stirbt als ohne diese Schmerztherapie. Hier ist zu antworten: Wenn das primäre Ziel, eine Hilfeleistung für den Patienten ist, also nicht Tötung, sondern eben Schmerzbekämpfung, so ist es ethisch unbedenklich, dem Patienten diese Hilfe zu leisten. Denn noch einmal: Das Ziel der Maßnahme ist nicht die Lebensverkürzung, sondern die Schmerzlinderung.

Fünftens: Auseinandersetzung mit dem Argument, die Euthanasiedebatte sei erst wegen der technisierten Medizin („unmenschliche Apparatemedizin“), aufgekommen. Nicht selten wird behauptet, dass die gegenwärtige Diskussion über Formen der „Sterbehilfe, insbesondere über die „Tötung auf Verlangen“ nur eine Reaktion auf die der Medizin teils unterstellten, mitunter aber wirklich vorkommenden inhumanen lebensverlängernden Behandlungen ist, also ein Problem der Technokratie ist. Aber die Geschichte der „Euthanasiedebatte“ macht deutlich, dass die grundlegenden ethischen Probleme des Sterbens nur zu einem sehr geringen Teil Folgen der medizinischen Technik sind. Der Grund liegt allenfalls sekundär in problematischen Lebens- bzw. Sterbensverlängerungsmaßnahmen durch die medizinische Technik. Vor allem sind es weltanschauliche Vorgaben, die zu einer Änderung in der Euthanasieeinstellung geführt haben. Geändert haben sich also keineswegs nur die medizinischen Möglichkeiten zur Bekämpfung von Krankheiten und Tod, sondern auch die Einstellung zum Leben, vor allem zu Krankheit und Tod. Dieses alles kulminiert in dem Begriff der Entscheidungsfreiheit. Der Mensch hat das Recht, sich selbst zu entscheiden, ob er sterben will oder nicht.

Sechstens: Auseinandersetzung mit dem Autonomieverständnis des australischen Philosophen Peter Singer (Er lehrt jetzt in den USA). Peter Singer vertritt eine völlig säkulare Ethik. Er geht davon aus, dass die normsetzende Wirkung des Christentums in unserer Zeit überholt ist: Das Christentum ist nicht mehr die einzige anerkannte Grundlage unserer moralischen Überzeugungen und Gesetze. In einer pluralistischen Gesellschaft, die die Trennung von Kirche und Staat akzeptiert, lassen sich, so Singer, Gesetze nicht damit rechtfertigen, dass sie mit den Lehren einer bestimmten Religion übereinstimmen.[1]

Stattdessen bekennt sich Singer in seiner moralphilosophischen Arbeit zu den Prinzipien des Nützlichkeitsdenkens, des Utilitarismus im weiteren Sinne.[2]  Indem sein Kriterium das Maß des Leidens ist, argumentiert er folgendermaßen: Leiden verspüren die Tiere ebenso wie die Menschen. Beim erwachsenen Menschen wird durch die bewusste Erwartung des Leidens das Ausmaß an Leiden gegenüber dem Tier, aber auch gegenüber einem Baby vergrößert. Darum muss man einen Erwachsenen in einem höheren Maße gegen Leiden schützen als ein Tier oder als ein Baby. Wer Experimente an Tieren befürwortet, so Singer, darf nicht schwer geistig behinderte Menschen und Babys von diesen Experimenten ausnehmen. Denn diese Lebewesen gehören nach Singer in dieselbe Kategorie.[3]. Es geht Singer in seinem Einsatz für die Gleichheit von Mensch und Tier nicht darum, geistig behinderte Menschen wie Tiere zu behandeln: „Ich möchte allerdings unsere Überzeugung, dass es unrecht wäre, geistig behinderte Menschen so zu behandeln, gern auf nichtmenschliche Lebewesen übertragen wissen, die auf einer ähnlichen Stufe des Selbstbewußtseins stehen und ähnliche Leidensfähigkeit besitzen.“[4].

Aber Singer lehnt es ab, einen qualitativen Unterschied zu sehen zwischen einem nicht-selbstbewußten Tier und einem nicht-selbstbewußten Menschen. Von diesem Boden aus geht Singer auf die Frage ein, warum Töten Unrecht ist. Singer lehnt dazu den spezifisch religiösen Sinn des Begriffes „Heiligkeit des Lebens“ (Unantastbarkeit des Lebens) im Sinne der besonderen Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens ab.[5].

Er wendet sich gegen diese besondere Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens, und er drängt darauf, den Begriff „menschliches Wesen“ neu zu definieren: Nicht jedes Mitglied der Species Homo sapiens sei bereits ein menschliches Wesen. Die alte Definition würde auch einen Fötus von der Zeugung an, sowie ein geistig behindertes menschliches Wesen einschließen.[6]. Das lehnt Singer ab. Singer stellt eine Liste mit „Indikatoren für Menschsein“ auf, die folgendes umfasst: Selbstbewußtsein, Selbstkontrolle, Sinn für Zukunft, Sinn für Vergangenheit, die Fähigkeit, mit anderen Beziehungen zu knüpfen, sich um andere zu kümmern, Kommunikation und Neugier.“[7] An dieser Stelle also tauchen bei Singer Autonomie und Selbstbestimmung bzw. ihre psychischen Voraussetzungen auf.

Man kann vereinfachend formulieren: Nach Singer wird ein menschliches Wesen durch die Fähigkeit zur Autonomie definiert, während die Unfähigkeit zur Autonomie den nichtmenschlichen Status anzeigt. Indem Singer von dem Begriff der Autonomie ausgeht, sucht Singer den Begriff „menschlich“ zu vermeiden. Stattdessen teilt er die Menschen ein in „Mitglieder der Spezies Homo sapiens“ und in „Personen“. Nicht jedes Mitglied der Spezies Homo sapiens ist in seinen Augen eine Person, nicht jede Person ist ein Mitglied der Spezies Homo sapiens. Seines Erachtens kann ein nicht-selbstbewußtes Wesen von einem Schutz seines Lebens gar nicht wirklich profitieren: „Wenn ein Wesen nicht in der Lage ist, sich selbst als ein Wesen zu begreifen, das in der Zeit existiert, brauchen wir nicht auf die Möglichkeit Rücksicht zu nehmen, dass es wegen der Verkürzung seiner künftigen Existenz beunruhigt sein könnte.“[8]

Das heißt, ein solches Wesen darf getötet werden. Aber dazu ist zu sagen. Ein solches Freiheitsverständnis steht im Gegensatz zum christlichen Verständnis von Freiheit. Freiheit im Sinn der Heiligen Schrift ist Bindung an und Abhängigkeit von Gott.

Das zur Begründung der Selbsttötung und der „Tötung auf Verlangen“ meist ins Feld geführte Argument, es gehöre zur spezifischen Freiheit des Menschen, dass er über die Sinnhaftigkeit des Lebens, seinen Wert und das eigene Leben selbst uneingeschränkt verfügen und sich den Tod, sofern er will, geben dürfe, ist im Licht des Wortes Gottes zu bestreiten.

Ein solches Verfügungsrecht steht nur dem Schöpfer des Lebens selbst zu. Kein Mensch ist dazu berechtigt, über das eigene und erst recht nicht über das Leben eines anderen ein letztgültiges Urteil zu fällen und ihm ein Ende zu setzen. Dagegen ist es ist für einen Menschen nicht unwürdig, in Krankheit und Sterben die Entmächtigung seiner Persönlichkeit zu erfahren. Im Sterben und Tod wird der Mensch sich ganz entrissen und auf Gott geworfen.
Darum sind Sterben und Tod zu erleiden.

Sterben und Tod sind keine Taten des Menschen, durch die er sich selbst vollendet oder seinem Leben in Freiheit selbst ein Ende setzt. Ich weise Sie in diesem Zusammenhang auf Röm. 1,18ff: Dort, wo die Menschen von Gott abfallen, kollabiert auch die Ethik.

Christliche Ethik geht aus von der Ebenbildlichkeit Gottes, und damit von der Bindung an Gott.

Ich breche hier ab.

Aber ich denke, ich konnte Ihnen einige Orientierungsdaten bieten, zur Beantwortung der Frage, wie Christen, die Gott und seinem Wort glauben und gehorchen in der Frage der Euthanasie Stellung beziehen müssen.

[1] Peter Singer u. Helga Kuhse, Muss diese Kind am Leben bleiben?: Das Problem schwerstgeschädigter Neugeborener, Übers. Jutta Schust. (Erlangen: Harald Fischer Verlag, 1993), S.159.

[2] Singer, Praktische Ethik, S.29.

[3] Singer, Praktische Ethik, S.87-88.

[4] Ebd., S.109-110.

[5] Ebd., S.116.

[6] Ebd., S.118.

[7] Ebd.

[8] Ebd., S.125.